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Einheimische in die Nachhaltigkeitsstrategie einbinden – das Praxisbeispiel Bamberg

Co-Kreation, Partizipation

Anna Scheffold18. Jul 2024

„Die Einheimischen sollen mitreden bei unserem Tourismuskonzept – am besten so früh wie möglich!“ Das ist der Grundgedanke von Partizipation. Und der ist grundsätzlich gut.

Aber wie geht das eigentlich, „mitreden“? 

Im heutigen Beitrag stelle ich dir ein Beispiel aus der Praxis vor. Nachmachen erwünscht! 

Wann und warum eigentlich Partizipation?

Bevor wir einsteigen, fragst du dich vielleicht: Warum soll ich eigentlich Einheimsche einbinden? Und vor allem: wann? 

Das Warum ist schnell geklärt. „Tourismus findet immer mittendrin statt“, sagt Michael Heger, Geschäftsführer der Bamberg Tourismus & Kongress Service und einer der Protagonisten dieses Praxisbeispiels gerne. Das bedeutet: Ohne Einheimische kein Tourismus. 

Sie machen eine Destination zu dem, was sie ist. Stiften die Kultur, veranstalten Events, engagieren sich in lokalen Vereinen und sind nicht zuletzt auch Arbeitskräfte der Branche. Von all diesen Dingen profitiert die Tourismusbranche ungemein. Denn diese lebendige Kultur bringt so viele Ideen, Erlebnisse und Emotionen hervor. Und der Tourismus darf am Ende diese tollen Geschichten aufgreifen und Menschen von nah und fern damit begeistern. 

Was wir dabei nicht vergessen dürfen:  Was unsere Branche „Destination“ nennt, nennen sie ganz einfach „Heimat“. Ohne Einheimische also kein Tourismus! 

Und damit klärt sich auch das „wann“. Denn wenn es um Heimat geht, wollen Menschen lieber früher statt später mitgestalten. Tourismus ist ja schließlich nicht immer nur positiv konnotiert. Berichte aus Barcelona, Venedig und Hallstadt lassen immer mehr Menschen aufhorchen. Was, wenn es bei uns auch zu einem Ungleichgewicht kommt? 

 

Nachhaltigkeitsleitbild trifft Einheimische – Einblicke aus der Welterbestadt Bamberg

In unserem Praxisbeispiel stelle ich dir heute das Vorgehen aus der Welterbestadt Bamberg und dem Bamberger Land vor. 

Bamberg und das Bamberger Land machen sich aktuell auf den Weg, ein Nachhaltigkeitsleitbild unter der Überschrift „sozial verträglich, ökonomisch erfolgreich und entschieden ökologisch“ zu erarbeiten. Dieses fußt auf den Prinzipien der gemeinwohlorientierten Destinationsentwicklung.

Ein wichtiger Wert in der Gemeinwohlorientierung ist Transparenz und Mitentscheidung. Diesem Wert folgend bezieht die Destination ihre Stakeholder in den Prozess mit ein. Das sind neben dem eigenen Team, den Leistungsträger*innen und der Politik eben auch die Einheimischen.

In der Vorbereitung des gemeinsamen Workshops mit Einheimische aus Bamberg und dem Bamberger Land ging es dann vor allem darum zu überlegen, was man von den Einheimischen wissen möchte. Die großen Themen rund um Besucher*innen-Management und geeignete Angebote rund um das Welterbe sind grundsätzlich bekannt.

Wichtig war also, Stationen zu gestalten, die der DMO wirklich weiterhelfen und den Einheimischen zeigen, dass man die Herausforderungen verstanden hat. 

Herausgekommen sind 3 Stationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Diese stelle ich dir nachfolgend vor. 

 

Die Workshop-Stationen

Station 1: Urlaub zuhause

„Was können wir für eine gute Gestaltung der Freizeit für die Einheimischen tun?“ – die übergeordnete Fragestellung an dieser Station. Denn schließlich geht es nicht nur um Gäste von außerhalb. Freizeit ist ein hohes Gut. Und ob jemand 5 oder 500 Kilometer anreist, sollte für den Freizeitwert egal sein. 

Auf einer großen Karte der Stadt und des Landkreises markierten die Teilnehmenden des Workshops mit Pins, Faden und Zetteln ihre Lieblingsorte. Eine super Methode, um Dinge anfassbar zu machen! Aufbauend darauf wurde diskutiert: Was gefällt euch an diesen Orten gut? Wie können sie noch besser werden? 

Wo fühlt ihr euch besonders wohl? Und was können wir besser machen?

 

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  1. In der Stadt haben die Einheimischen andere „Lieblingsorte“ als viele Gäste. Während sich viele Gäste in der Altstadt tummeln, mögen es die Bamberger*innen selbst gerne ruhiger und suchen nach Ausgleich im Grünen. Daraus entstehen dann aber auch gerne Konflikte. Denn was für die Einheimischen der Arbeitsweg ist, ist für Gäste ein Ort zum Verweilen.
  2. „Bitte verratet nicht unsere Geheimtipps“ – ein Wunsch, der sich aus dem vorherigen Punkt ergibt und immer wieder geäußert wurde. Ein wichtiger Impuls zum Spannungsfeld Besucher*innenlenkung! Denn ein Ansatz ist schließlich, Gäste besser zu verteilen und Alternativen zu empfehlen. 
  3. Im Landkreis, also um die Stadt herum, haben die Bamberger*innen ähnliche Highlights wie Gäste von weiter weg. Seien es die berühmten Keller, der Badesee oder die Schlösser. Und hier haben sie die gleichen Anforderungen wie die „klassischen Touristen“: Gute Radwege, gastronomische Angebote, öffentliche Toiletten,… 

Gerade der letzte Punkt zeigt also: Gäste und Einheimische als Zielgruppe der touristischen Arbeit zu zeigen ist extrem wertvoll und wichtig. Und oft sind sich die Menschen näher, als es auf den ersten Blick scheint. 

 

Station 2: Dialogforum Tourismus

An dieser Station wurde eine Idee diskutiert, die im ersten Entwurf des Nachhaltigkeitsleitbilds als mögliche Maßnahme steht. Das sogenannte „Dialogforum Tourismus“. Die Grundidee: im regelmäßigen Austausch mit Einheimischen und Verantwortlichen aus dem Tourismus wichtige Themen klären, Konfliktfelder diskutieren, Einblicke in die Arbeit geben und Transparenz schaffen. 

Aber wie kann so etwas konkret aussehen? Mithilfe eines vorgefertigten „Canvas“, also einem großen Papier mit definierten Arbeitsbereichen, haben wir die Idee konkretisiert. Die Fragen auf dem Canvas waren unter anderem: Wer sollte dabei sein? Was sind gute Zeitpunkte und eine angemessene Dauer? Welche Themen gehören in den Dialog? 

Mit klaren Fragen die Diskussion strukturieren: die Station „Dialogforum Tourismus“

 

Die wichtigste Erkenntnis: Es gibt am Ende nicht nur ein Format, um alle Probleme zu lösen. Vielmehr geht es um eine koordinierte Menge an Maßnahmen. Das reicht von Pressearbeit, physischen Austauschformaten bis hin zu Vorträgen in Vereinen. 

 

Station 3: Tourismusakzeptanz

Wir alle kennen sie inzwischen: Die Tourismusakzeptanzstudien. Auch in Bamberg wurde schon mehrfach eine Erhebung gemacht. Das sorgt zum einen für mehr Klarheit und Transparenz zur Tourismusgesinnung, erzeugt aber auch neue Fragen. Denn häufig fehlt das „warum“ hinter der Abstimmung. 

An dieser Station haben wir also live und in Farbe mithilfe des Umfrage-Tools Mentimeter eine kleine Tourismusakzeptanzstudie durchgeführt. Die Teilnehmenden haben die Fragen zuerst auf ihrem Smartphone beantwortet. Anschließend wurde diskutiert, wie die Anwesenden zu dieser Einschätzung kommen. 

Umfrage trifft Diskussion: Das „warum“ hinter den Daten verstehen

 

Die wichtigsten Erkenntnisse: 

  1. Die Einheimischen verstehen unter „Tourismus“ etwas anderes als die Fachbranche. Meist werden nur Übernachtungsgäste als Touristen gesehen oder Tagesgäste, die klar als „von weiter weg“ identifiziert werden. Wenn die Tagesgäste den lokalen Dialekt sprechen, fallen sie den Einheimischen nicht wirklich auf. Das beeinflusst stark die Wahrnehmung von „zu viel“ oder „zu wenig“ Tourismus. 
  2. Eine regelmäßige Erhebung zur Tourismuswahrnehmung und -akzeptanz ist ein wichtiges Feedback, wie die Arbeit in der Bevölkerung gesehen wird. Sie ist damit eine der neuen KPIs, wenn man seine Destination gemeinwohlorientiert ausrichten möchte. 
  3. Eine qualitative Ergänzung zur Tourismusakzeptanz ist extrem wertvoll, um Konfliktfelder besser zu verstehen. Denn allzu häufig schaut man nur mit der eigenen Brille auf Ergebnisse oder wertet schlimmstenfalls die Rückmeldung ab.

 

Unsere Learnings für dein eigenes Format

Übergreifend gab es weitere wichtige Learnings, die du für die Vorbereitung eines eigenen Formats mitnehmen kannst. 

  1. Gut vorbereitet = gute Ergebnisse. Ein Partizipationsformat braucht eine solide Vorbereitung. Was wollen wir lernen? Wollen wir Feedback auf eine Idee oder gemeinsam gestalten? Wie können wir Ideen anfassbar machen? Und wer muss dabei sein? Das sind nur einige der vielen Fragen, die wir uns vorab gestellt haben.
  2. Der Blick nach Vorne. Die Teilnehmenden wollen natürlich wissen, wie es weitergeht. Da braucht es handfeste nächste Bausteine, um das aufgebaute Vertrauen weiter zu festigen. Im Fall unseres Praxisbeispiels ist das z. B. eine solide Nachlese sowie ein „Tag des Tourismus“, bei dem Einheimische im Herbst selbst die touristischen Angebote nutzen und ihre eigene Stadt und Region neu erleben können.
  3. Ganzheitlich statt Eintagsfliege. Das hier vorgestellte Format war nur einer von zahlreichen Terminen mit unterschiedlichen Stakeholdern. So können unterschiedliche Perspektiven einfließen. Das braucht natürlich Zeit und einen langen Atem. Schlussendlich lohnt sich das aber, um einen langfristigen und ganzheitlichen Prozess zu erreichen. 

 

Weiterlesen

  • Mehr über den Workshop und den gesamten Prozess findest du auf dem Bamberger Tourismusblog. Der Blog ist generell übrigens ein weiteres Best Practice, das gerne Nachahmer finden darf. 
  • Mehr über unsere Herangehensweise an Co-Kreation und Partizipation findest du auf unserer entsprechenden Fokusseite.
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Anna Scheffold Beratung | Strategie | Experience Design

Als Begleiterin für Strategie, Nachhaltigkeit und Experience Design helfe ich dir, Produkte und Services zu schaffen, die deine Kund*innen lieben und dich zukunftsfähig aufstellen. Mit viel Kreativität und Macherinnen-Mentalität. Gemeinsam erarbeiten wir, wo der Schuh drückt und welche Chancen sich daraus ergeben. Anschließend entwickeln wir Strategien sowie Produkte und Services, die eine ganzheitliche Erfahrung herstellen. Ich begleite dich dabei vom großen strategischen Blick und – wenn du magst – bis in die Umsetzung der Maßnahmen, die sich daraus ergeben. Methodisch übersetzt heißt das: Design Thinking und Lean Startup in Reinkultur. Natürlich immer auf Basis unseres Ringmodells.

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